Hildesheimer Neonazis als Wegbereiter extrem rechten Terrors?

Spätestens Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entstehen im Umfeld der später, im Jahr 2000, verbotenen Neonaziorganisation Blood & Honour schwer kriminelle und terroristische Netzwerke. Mit Combat 18 („Kampfgruppe Adolf Hitler“) entsteht sogar ein eigener bewaffneter Arm. Kernkonzept des bewaffneten Kampfes von B&H ist der sogenannte „führerlose Widerstand“. Eine Gruppe die genau nach diesem Konzept agiert hat war der selbsternannte NSU, welcher bis zu seiner Selbstenttarnung im Jahr 2011 zehn Menschen ermordet hat und dutzende Banken überfiel. Außerdem ist der NSU für drei Bombenanschläge verantwortlich.

Das der NSU dabei keineswegs isoliert agiert hat und bis zum Schluss über Kontakte in die Neonaziszene verfügte ist Heute vielfach belegt. Viel mehr muss davon ausgegangen werden, dass es nicht den einen NSU gibt, sondern das der NSU nur eine von vielen bewaffneten Gruppen in einem extrem rechten Untergrund rund um B&H und C18 gewesen ist.

Der Mord am Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke macht auf tragische Art und Weise deutlich, dass dieser Untergrund weiterhin existiert und agiert. So bewegte sich sein mutmaßlicher Mörder Stephan Ernst im engeren Umfeld von Stanley Röske, einem der führenden Köpfe von Combat 18.

Um zu funktionieren braucht dieser extrem rechte Untergrund weit verzweigte und gut organisierte Strukturen und Netzwerke von Mitwissenden und Helfer*Innen. Erst letzten Monat hat das Rechercheprojekt „Hingeschaut“ auf ein solches Unterstützer*Innen-Netzwerk rund um die ehemaligen B&H-Strukturen in Hildesheim aufmerksam gemacht.

Und wenn Neonazis aus genau diesem Umfeld jetzt öffentlich rechten Terror verharmlosen und sich solidarisch hinter einen mutmaßlichen Terroristen aus dem Umfeld von C18 stellen, dann ist das ein guter Grund noch einmal ganz genau hinzuschauen.

Worum geht’s?

Neonazis um die Partei Die Rechte und den langjährigen Neonazi Dieter Riefling mobilisieren für Samstag den 27.07.2019 nach Hildesheim. Zum Anlass nehmen sie sich die aus ihrer Sicht vorschnelle Forderung nach einem Verbot von Combat 18, sowie die Berichterstattung im Mordfall Walter Lübcke.

Als ehemaliger Kader der verbotenen Neonazipartei „FAP“ verfügte Dieter Riefling früh über sehr gute Kontakte in die Neonaziszene. Seine Karriere führte ihn durch die verschiedensten Gruppierungen, Parteien und Vereine. Zwischenzeitlich war er Organisationsleiter von B&H. Die Position des Organisationsleiters entstand auf Druck der Hildesheimer B&H-Gruppe um Hannes Franke und Johannes Knoch. Während der deutsche Ableger von B&H Ende der 90er Jahre an der Frage Geld oder Politik zu zerbrechen drohte, setzten sie richtungsweisende Impulse zur Umformung von B&H in eine politische Kampfgemeinschaft.

Zur selben Zeit, im Jahr 1998, zog der im NSU-Prozess verurteilte Neonazi und Terrorhelfer Holger Gerlach von Jena nach Hannover. Kurz nach seinem Umzug tauchte er im Umfeld von B&H Hildesheim auf und organisierte 1999 gemeinsam mit Johannes Knoch und weiteren Hildesheimer Neonazis ein Rechtsrock-Konzert in Hildesheim. Eine Band die an diesem Abend auftrat war das Jenaer Liedermacher-Dou „Eichenlaub“. Mit ihrem Lied „5.Februar“ bezieht sich „Eichenlaub“ auf die untergetauchten Terroristen vom NSU. Ein Videomitschnitt belegt das Dieter Riefling den Abend damals moderierte.

Rechtsrock-Konzerte blieben nicht die einzigen gemeinsamen Aktivitäten von Holger Gerlach und den Hildesheimer Neonazis. Nachdem Dieter Riefling von Neonazis aus dem Umfeld von Thorsten Heise krankenhausreif geschlagen wurde, weil diese verhindern wollten das er das Gelände von Thorsten Heise betrat, nahm die Polizei noch am selben Abend eine Gruppe von rund 20 bewaffneten Neonazis fest. Sie waren auf dem Weg sich für den Überfall auf Dieter Riefling zu rächen. Unter den festgenommenen befand sich auch Holger Gerlach.

Das Verhältnis zwischen den Neonazis um Thorsten Heise und der Hildesheimer B&H-Gruppe scheint unter dieser Auseinandersetzung nicht gelitten zu haben. Im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss gab ein Aussteiger aus dem Rechtsrockmilieu an, dass Heise und die Hildesheimer gute Kontakte pflegten. Der wichtigste Besuch dürfte demnach der Besuch der Hildesheimer Delegation zur Hochzeitsfeier von Thorsten Heise im Jahr 1999 gewesen sein. Damals fuhren Hannes Franke und Holger Gerlach gemeinsam zu der Hochzeit. Gerlach hatte den Auftrag Thorsten Heise nach Hilfe für die untergetauchten NSU-Terroristen zu fragen.

Ein weiterer Neonazi der sich in Hildesheimer Neonazistrukturen bewegte ist der beste Freund von Holger Gerlach. Alexander Scheidemantel gehörte in den 2000er Jahren zwischenzeitlich einer Hildesheimer Kameradschaft an.

Im Jahr 2006 stellte seine Frau Sylvia Scheidemantel der untergetauchten Beate Zschäpe ihre Krankenkassenkarte zur Verfügung und ermöglichte so ein Fortbestehen des NSU. Bei ihrer Aussage im NSU-Prozess wollte das Gericht wissen ob sie Johannes Knoch, Hannes Franke und Marc Borowietz kannte. Auch wenn sie angab sich nicht erinnern zu können wird an dieser Stelle deutlich, dass es gleich mehrere Neonazis im Umfeld der Hildesheimer B&H-Division gegeben hat, die dem Umfeld des NSU zuzurechnen sind.

Dafür spricht vorallem die enge Freundschaft zwischen der Familie Eminger und Hannes Franke. Der im Jahr 2002 nach Groß Düngen im Landkreis Hildesheim gezogene Maik Eminger ist der Bruder des wichtigsten Unterstützers des NSU und im NSU-Prozess verurteilten André Eminger. Im Jahr 2004 besuchten Maik Eminger und Johannes Knoch eine Kranzniederlegung in Gronau (Leine) (Landkreis Hildesheim) und Hannes Franke war regelmäßig mit den beiden Brüdern bei Treffen der völkischen und ultrarassistischen „Artgemeinschaft“.

Die „Artgemeinschaft germanische Glaubensgemeinschaft“ vom inzwischen Verstorbenen Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger diente nach dem Verbot von B&H als Auffangbecken für B&H-Kader und steht in enger Verbindung mit dem extrem rechten Terror des NSU und auch von dem Netzwerk um Stephan Ernst. Nicht nur Ernst selbst war Mitglied in der Artgemeinschaft, 1997 soll Beate Zschäpe ein Treffen der Artgemeinschaft besucht haben. Nach seiner Verurteilung fand Ralf Wohlleben, ebenfalls Unterstützer des NSU Zuflucht auf dem Hof des Vorsitzenden der Artgemeinschaft.

Noch im Jahr 2012, bereits nach der Selbstenttarnung des NSU und nach bekannt werden der Mitwirkung von Andre Eminger besuchten die Eminger-Brüder das Hildesheimer Tattoostudio „Last Resort“ von Johannes Knoch und wurden dort, nach Darstellung vom ZDF-Magazin Frontal 21, herzlich begrüßt. Der Versuch von Hannes Franke juristisch gegen diese Darstellung vorzugehen kassierten die Gerichte ein.

Auch schon vor bekannt werden des NSU waren Mitglieder der Hildesheimer B&H-Division eng mit rechtsterroristischen Strukturen verbandelt. Während der Ermittlungen zur Gruppe „Combat 18 Pinneberg“ tauchten Hildesheimer Neonazis auf Telefonmitschnitten auf. Auf einer Aufnahme ist Johannes Knoch zu hören, wie er detaillierte Anweisungen zum Umgang mit „abtrünningen“ Neonaziversänden gibt. Als „C18 Pinneberg“ letztlich 2003 ausgehoben und verboten wird finden die Ermittler neben Todeslisten vor allem diverse Schusswaffen. Combat 18 war in der Vergangenheit auch wiederholt in Hildesheim aktiv. Der erste dokumentierte Vorfall geht auf das Jahr 1999 zurück. Dort tauchten am ehemaligen Haus der Jugend Plakate auf, auf denen Combat 18 antifaschistische Aktivist*Innen mit dem Tode bedrohte. Im Jahr 2016 sind mehrere Überfälle auf migrantische Taxifahrer im Landkreis Hildesheim bekannt geworden. Die maskierten Täter gaben sich den Opfern gegenüber als Aktivisten von Combat 18 zu erkennen.

Unter all diesen Gesichtspunkten wird eines deutlich: Wenn Hildesheimer Neonazis jetzt öffentlich Ermittlungen in Umfeldern des extrem rechten Terrors verurteilen, dann tun sie das vor allem aus eigenen Interessen. Sie befürchten selbst in den Fokus der Ermittlungen zu geraten. Ein Verbot und die damit einhergehenden Ermittlungen könnten einige sicherlich schwer belasten und hätte für sie unkalkulierbare Folgen. Der extrem rechte Untergrund in dem sie sich bewegen ist kein zufällig und lose zusammengewürfelter Haufen von Neonazis. Viele von ihnen waren Mitglieder von B&H und sie alle verbindet die elitäre Vorstellung der „weißen Herrenrasse“. Die meisten von ihnen waren oder sind bereit ihre Ideologie und die eigenen Interessen mit (tödlicher) Gewalt durchzusetzen oder andere bei der Durchsetzung der gemeinsamen Ziele zu unterstützen.

Quellenangaben und weitere Informationen findet ihr auf der Internetseite vom antifaschistischen Rechercheportal Projekt Hingeschaut. Dort werden Texte zu militanten und rechtsterroristischen Strukturen in Niedersachsen und Norddeutschland veröffentlicht.

www.hingeschaut.blackblogs.org