Aufgewacht Hildesheim

Was sind das für Leute?

In Hildesheim findet sich seit dem 18.04.20 jeden Samstag ein Sammelsurium an Menschen zu regelmäßigen Kundgebungen um 10 Uhr auf der Lilie zusammen. Die Menschen kann man als durchaus heterogene Masse beschreiben. Was sie alle vereint ist, dass sie sich über die Maßnahmen der Regierung aufregen, die getroffen wurden um die Ausbreitung der Covid19 Pandemie zu verlangsamen. Im Großen und Ganzen fanden sich bei den bisherigen Aktionen einige versprengte unorganisierte Linke, esoterische, religiöse, verschwörungsideologische, liberale oder auch rechte Leute ein. Die Redebeiträge drehten sich zumeist darum, dass Maßnahmen zu hart seien, eine Impfpflicht dem Faschismus gleich komme, alles eine große Lüge von den Mächtigen sei, niemand mehr in die Kirche gehe und die Medien nicht wahrheitsgemäß berichten würden. Im Laufe der Zeit hat sich Organisationsstruktur geändert und sich mittlerweile ein Kernteam von etwa 15 Leuten gebildet, die vor allem als rechts und verschwörungsideologisch einzustufen sind.

NS-Relativierung

Diesen antidemokratischen Nährboden wussten Rechte von Anfang an zu nutzen. Bei der ersten Kundgebung am 18.04. fiel ein Mann auf, der mündlich und schriftlich in Flyerform Propaganda einer rechtsesoterischen Sekte um den Südtiroler Heinz Grill verbreitete. Er brachte den Vergleich an, dass zu NS Zeiten Millionen von Körpern ausgelöscht wurden und nun die Zeit sei, in der die Regierung Millionen Seelen umbringen würde. Eine Relativierung des Holocaust, an der sich nicht gestört wurde. Der Versammlungsleiter Jens Stenzel aus Sibbesse griff nicht ein und widersprach auch nicht.
Im Gegenteil stellt auch er, der er stellv. Vorsitzender der Hildesheimer FDP war, in einem Interview mit der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung den Vergleich auf, dass die jetzige Situation gleich derer wäre, in der das Ermächtigungsgesetz erlassen wurde und Hitler sämtliche Machtbefugnisse gegeben wurden. In der Orgagruppe „Aufgewacht Hildesheim“ zieht ein User einen weiteren Vergleich zur NS-Zeit, bei dem man nicht lang suchen muss um den Antisemitismus zu erkennen: So sieht er in einer kommenden Impfpflicht die Auswirkung, dass jeder Verweigerer der Impfung einen Judenstern zu tragen habe.

Auftritt von Johannes Welge

Bei der zweiten Kundgebung von „Aufgewacht Hildesheim“ am 02.05.2020 auf der Lilie trat der bekannteste Hildesheimer Rechtsextreme Johannes Welge, seines Zeichens Vorsitzender des Kreisverband Hildesheim/Braunschweig der faschistischen Partei „Die Rechte“ als Redner auf. Er verpackte die polizeilichen Maßnamen gegen die extreme Rechte, wie zum Beispiel das Verbot geplanter Naziaufmärsche am 1.Mai, als Unterdrückung gegen kritische Stimmen. Darüber hinaus erntete er Applaus als er kritisierte, dass seinen Kameraden von DIE RECHTE Einbeck vor Kurzem vom SEK die Wohnung gestürmt wurde und Waffen sichergestellt wurden.

Jens Stenzel mit Johannes Welge.

Spätestens hier hätte man die Gesinnung von Welge bemerken können. Stenzel, der zwar zum einen gegenüber der HiaZ bekundete, sich im Vorfeld um der Möglichkeit „Extremisten“ können die Kundgebung für ihre Zwecke nutzen Gedanken gemacht zu haben, ihm wäre Welge aber andererseits gänzlich unbekannt gewesen. Was dabei merkwürdig erscheint, ist dass Johannes Welge mit seinem Facebookaccount Wohannes Jelge einige Tage vor der Demo mit Stenzel in Kontakt trat und ihm anbat, eine Anlage für die Kundgebung zu besorgen.

Im Nachgang wurde von der antifaschistischen Gruppe AFK37 aus Hildesheim eine Presserundmail verfasst und der Vorfall auf Facebook bekannt gemacht. Er schlug hohe Wellen und die Hiaz befragte den Organisator Stenzel umgehend nach seiner Einschätzung. Dieser beteuerte, keine Propaganda in Welges Rede gesehen zu haben und kommentierte den Vorfall im Allgemeinen mit einem „Was ist daran so schlimm?“.

Die Rolle der FDP

Besondere realpolitische Brisanz bekommt die ganze Geschichte durch die parteipolitische Zugehörigkeit Jens Stenzels zur FDP. Er meldete die Versammlung zwar als Privatperson an, jedoch übernahmen auch Parteikollegen wie der Vorsitzende Henrik Jacobs Ordnerfunktionen bei der Kundgebung. Nach der ersten Kundgebung, bei dem sich bereits verschwörungstheoretische Inhalte und die starke Nähe zu Impfgegnern zeigte, äußerte die Hildesheimer FDP in einer Erklärung an die Hiaz sogar noch vollste Unterstützung der Aktivität Stenzels und der Kundgebungen. Nach dem Bekanntwerden des Auftreten eines Faschisten bestand das Krisenmanagement der FDP zunächst darin, sich in einer Mini-Erklärung von der Kundgebung und Rechtsextremismus zu distanzieren. Nach weiterem öffentlichen Druck wurde nach Tagen des Schweigens die Entscheidung verkündet, dass Jens Stenzel von all seinen Parteiämtern zurücktrete. Eine Rettung in letzter Sekunde könnte man sagen.

Übernahme durch Verschwörungsideologen und weitere Aktionen

Rocco, Chef der Truppe, im Gespräch mit dem Einsatzleiter

 

Nachdem Stenzel und die FDP für die Orga nun aus dem Rennen sind, übernahmen besonders engagierte Kundgebungsteilnehmer*innen die weitere Orga der Kundgebungen. Als Kopf der Gruppe nach Innen und Außen gilt der Student Hendrik Seege (alias Rocco).

Um ihn herum gibt es ein etwa 15 köpfiges Orgateam mit internem Telegram Chat. Eine Aktion, die in der internen Gruppe vorbereitet wurde, sorgte nun in Hildesheim für Aufsehen.

Tec auf Kundgebung von Aufgewacht Hildesheim

So betrat das Mitglied Tecwyn Williams (alias Tec) der Orgagruppe am 13.05.2020 einen Nettomarkt und setzte sich demonstrativ keinen Mund-Nasenschutz auf. Er fing eine Diskussion mit Personal und Kundschaft des Ladens an und verteidigte sein egoistisches Handeln politisch mit dem Grundgesetz.
Eine weitere Aktionsform der Gruppe sind gemeinsame öffentliche Meditationen mit Klangschale und „tief in die Augen sehen“, welche in regelmäßigen Abständen auf dem Marktplatz stattfinden. Dazu gab es in den letzten 2 Wochen eine Dauermahnwache, täglich von 10.00 – 17.30 Uhr auf der Lilie.
Es bleibt zu sagen, dass das Highlight der Woche die

 

Torsten Paulitz ist bei jeder Kundgebung als Ordner tätig

samstagliche Kundgebung um 10 Uhr auf der Lilie ist. Werbemittel und Infrastruktur für die Kundgebungen werden unter Anderem auch von Torsten Paulitz, welcher Betreiber einer Hildesheimer Werbefirma ist, beigesteuert. Dieser fällt auf Facebook durch extrem rechte Hetze auf und ist bei den Aufgewacht Kundgebungen aggressiv gegenüber Presse und Gegenprotest aufgetreten.

 


Extrem rechte Inhalte im Chat

Uns ist es gelungen mehrere Wochen den internen Chat der Gruppe mitzulesen. Dabei sind extrem Rechte und verschwörungsideologische Inhalte unkommentiert, bzw. sogar mit Zustimmung der anderen Gruppenmitglieder geteilt worden.

So fordert der Chef der Truppe, Rokko, bei der Kundgebung die Antifa zu verprügeln und bekam darauf sehr amüsierte, positive Reaktionen. Das geht wohl darauf zurück, dass antifaschistische Netzwerke überall und auch in Hildesheim auf die extrem rechten Verstrickungen der Verschwörungstheorie-Demos hinweist.
Weiter wurde fantasiert, wie man, wenn die „Bewegung“ erstmal stärker wäre, „Merkel sprengen“ könnte. Auch hier gab es nur Zuspruch aus der Gruppe.

Antisemitische Äußerungen werden sowohl in den öffentlichen Telegramgruppen, als auch in der internen Planungsgruppe geäußert. Da ist dann die Rede von den „okkultistischen Mathematikern von der Ostküste der USA“, ein klassisches Bild in der Vorstellung von Antisemiten. Weiterhin werden auf allen Kanälen Rechte wie Ken Jebsen als seriöse Quellen empfohlen.

Rocko, der führende Kopf der Gruppe, wollte sich auch auf Nachfrage nicht eindeutig von Rechtsextremen abgrenzen. Solang sie keine Parteifahne hätten, wären sie willkommen, da sie die Masse vergrößern würden. „Aufgewacht Hildesheim“ ist also ganz eindeutig rechtsoffen, hat teilweise selbst rechte und klar antisemitische Inhalte. Diese Gruppe, die von sich selbst behauptet, sie seien „nicht links oder rechts, wir sind Menschen“, ist durchsetzt von Menschen mit geschlossen rechtem, antisemitischen Weltbild, wie eine kurze Facebook Suche ergibt. Dazu sind die geäußerten Gewaltphantasien beunruhigend.
Selbst wenn jemand wie Welge dort nicht mehr auftritt, erkennen wir die Gruppe und die Veranstaltungen als Problem.

Wir werden die weiteren Aktivitäten der Gruppe weiter aufmerksam verfolgen und fordern alle Antifaschist*innen in Hildesheim auf, sich gegen Antisemitismus, NS-Relativierung und rechtsextreme Propaganda gerade zu machen.